Worin besteht die Schwierigkeit in Zeiten einer Pandemie eine Sprache zu lernen und zu lehren? Mit welchen Herausforderungen sind Sprachkursleitende derzeit besonders konfrontiert?
Tonsern: Derzeit sind Lehrende und Lernende eigentlich mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Nicht alle haben die entsprechenden Voraussetzungen und Fähigkeiten, um im „Distance Learning“ erfolgreich zu sein. Als Lehrender war ich anfangs mit den Online-Tools überfordert. Von meinen Lernenden in DaZ-Sprachkursen weiß ich wiederum aus erster Hand, wie unglaublich schwer es ist, wenn nur das Smartphone als digitales Endgerät zum Lernen zur Verfügung steht. Oder stellen Sie sich einmal einen Alphabetisierungskurs mit Vor- und Nachsprechen von Silben und Wörtern mit Maske vor – das ist bestenfalls unfreiwillig komisch. Außerdem bedeutet ein Lockdown für Lernende im Zielsprachenland immer auch, dass es an sehr essentiellen Möglichkeiten zur sprachlichen und gesellschaftlichen Teilhabe fehlt.
Welche möglichen Auswirkungen hat die Pandemie auf interkulturelle Kommunikation?
Tonsern: Ich kann wirklich keine positiven Auswirkungen der Pandemie auf die Kommunikation im Allgemeinen und erst recht nicht auf die sogenannte „interkulturelle“ Kommunikation erkennen. Ganz im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass „klassische“ national-kulturelle Zuschreibungen während der Pandemie tendenziell zugenommen haben – denken Sie etwa nur an den „China-Virus“, an Masken, die dann doch nicht „Made in Austria“ sondern eben „Made in China“ waren etc. Stereotype Zuschreibungen haben also meinem Empfinden nach zugenommen – aber das ist in einer Zeit der Verunsicherung weder ein neues noch ein überraschendes Phänomen.
Was bedeutet interkulturelle (Sprach-)Kompetenz in einer Welt voll Emojis, Kurznachrichten und virtuellen Meetings?
Tonsern: In der Beantwortung dieser Frage möchte ich auf ein sehr altes Schlagwort im Bereich des interkulturellen Lernens zurückkommen. Ich bin nämlich der Meinung, dass interkulturelle Sprachkompetenz in erster Linie bedeuten sollte, Ambiguitätstoleranz zu entwickeln. Mir noch wenig Bekanntes sollte weder im Sinne eines überzeichneten „Exotismus“ als besonders gut, noch im Sinne von Rassismus als bedrohlich oder gar minderwertig angesehen werden. Und gerade im Hinblick auf virtuelle Meetings möchte ich auch daran erinnern, dass bei Weitem nicht jedes Kommunikationsproblem zwischen Menschen, die in einer Fremd- oder Zweitsprache kommunizieren, ein „interkulturelles“ Problem sein muss.
Tipps für interkulturellen Unterricht in Zeiten wie diesen?
Tonsern: Erstens würde ich versuchen, kulturelle Zuschreibungen und damit verbundene, vermeintliche nationale „Determinierungen“ zu relativieren, wann und wo immer es möglich ist. Die Österreicherin, die gerne Ski fährt, ist primär eine Frau, die gerne Ski fährt und erst in zweiter Linie eine Österreicherin. Vielleicht ist sie ihrem Selbstverstädnis nach auch eher eine in Moldau geborene, in Österreich aufgewachsene Frau, die sich primär als Steirerin in Wien sieht. Damit zusammenhängend würde ich zweitens empfehlen, Mehrfachzugehörigkeiten im Unterricht als das zu thematisieren, was sie sind – nämlich ein eigentlich ganz alltägliches Phänomen. Meine Staats- oder Religionszugehörigkeit ist nur ein Faktor von sehr vielen. Ich persönlich habe als großer Elvisfan und begeisterter Imker mit einem Elvisfan und Imker aus Damaskus sicher mehr zu reden als mit jedem Fan von Hansi Hinterseer und Frettchenzüchter aus Graz. Und mein dritter und letzter Tipp ist die Erinnerung daran, dass die Unterschiede in einer Gruppe immer größer sind als die Gemeinsamkeiten. Die Frage „Und wie ist das in Ihrem Land?“ hat im DaF/DaZ-Unterricht mittlerweile eigentlich ausgedient. Und das ist gut so.
Wie positioniere ich mich heutzutage als DAF/DAZ-Lehrende/r am besten?
Tonsern: Meiner Meinung nach gehört es zum Berufsethos der DaF/DaZ-Lehrenden sich grundsätzlich auf der Seite derjenigen zu positionieren, welche in der Fremd- oder Zweitsprache Deutsch noch (!) keine ausgeprägte Stimme haben - also auf Seite der Lernenden. Auch wenn es sehr abgedroschen klingt: die Lernendenorientierung ist wahrscheinlich auf ewig der Gradmesser für fast alles, was mit gutem und erfolgreichem Unterricht zu tun hat. Mitte der 90er Jahre gab es in meinem Fachgebiet außerdem den Begriff von den Lehrenden als „Mittler zwischen den Kulturen“. Das gilt mittlerweile als überholt, weil man nicht mehr davon ausgeht, dass es national abgrenzbare und somit streng voneinander zu unterscheidende Kulturen gibt. Wenn man den Begriff der Kultur aber eben nicht nur auf nationale Zuschreibungen bezieht, dann halte ich persönlich diese Beschreibung der Position eines Lehrenden nach wie vor für ziemlich gelungen. Sprachliches Lernen bedeutet immer auch kulturelles Lernen und umgekehrt.
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